Dona
ora

17.04.2025

Beobachten, dokumentieren, anklagen

Aus der Luft dokumentiert die Flugzeug-Crew von Sea-Watch, wie Menschen in Seenot ignoriert oder völkerrechtswidrig zurück nach Libyen verschleppt werden. Paul Wagner war mehrere Jahre lang ehrenamtlich auf Sea-Watch-Schiffen im Einsatz. Heute ist er fest im Medienteam und verantwortlich für die Aufklärungsflugzeuge, vor und hinter der Kamera. Ein Gespräch über Hoffnung, Wut und den Blick aus einem kleinen Flugzeug auf das Unrecht an der europäischen Außengrenze.

Paul, wie läuft ein typischer Einsatz mit dem Aufklärungsflugzeug ab?

Wir dokumentieren Menschenrechtsverletzungen im zentralen Mittelmeer. Das bedeutet, wir dokumentieren beispielsweise, wenn von der EU finanzierte Milizen Menschen nach Libyen oder Tunesien verschleppen.

Wenn wir mit dem Flugzeug über dem Mittelmeer fliegen, dann stehen wir meist früh auf, um das volle Tageslicht ausnutzen zu können. Wir machen eine Einsatzbesprechung und dann geht es zum Flughafen. Dort wird das Flugzeug von Verschmutzungen gereinigt, damit wir bestmöglich durch die Fenster gucken können – wir haben nämlich keine Geräte, um Boote zu entdecken. Nur unsere Ferngläser.

Die Flugzeug-Crew von Sea-Watch dokumentiert Seenotfälle und Menschenrechtsverletzungen auf dem zentralen Mittelmeer. Foto: Milo Zanecchia / Sea-Watch

Dann starten wir in der Regel zu viert in Richtung der Fluchtrouten von Libyen und Tunesien nach Italien. Wenn wir Boote in Seenot finden, alarmieren wir die zuständigen Behörden. Und wenn wir beobachten, wie libysche Milizen Menschen in Seenot zurück nach Libyen entführen, dokumentieren wir das. Manchmal können wir das Material, das wir sammeln, beispielsweise als Beweise vor Gericht verwenden. Mit der Dämmerung landen wir in der Regel.

Wie oft fliegt ihr?

Wir fliegen im Schnitt circa 150 mal im Jahr, also etwa jeden zweiten oder dritten Tag. Im Sommer mehr und im Winter etwas weniger.

Das Mittelmeer ist groß. Wonach entscheidet ihr, wohin ihr fliegt?

Das hängt vom Wetter und vielen anderen Faktoren ab. Wir decken in der Regel auf unseren Flügen die Fluchtrouten des zentralen Mittelmeers systematisch ab. Außerdem fliegen wir dort, wo vorher Frontex-Flugzeuge gekreist sind. Frontex-Aktivität ist nämlich ein schlechtes Zeichen. Wenn sie über einem Boot in Seenot kreisen, bedeutet das für gewöhnlich, dass sie dessen Standort an libysche Milizen weitergeben. Mit denen stehen sie via WhatsApp in Kontakt. Oft folgt auf Frontex-Kreisel deshalb die illegale Zurückschleppung von Menschen nach Libyen.

Wie viele Leute sind bei einem Einsatz an Bord?

Im Flugzeug sind wir meist zu viert. Eine Pilot*in steuert das Flugzeug. Ein*e taktische*r Koordinator*in trifft im Flugzeug ad-hoc Entscheidungen und plant die Flugroute. Der*die Field Media Coordinator ist für die Dokumentation mit der Kamera zuständig, das sind in der Regel Foto- oder Videograf*innen. Und dann gibt es oft noch eine vierte Person, deren ausschließliche Aufgabe es ist, zu spotten, also Ausschau nach Milizen und Booten in Seenot zu halten.

Was macht ihr, wenn ihr ein Boot in Seenot entdeckt?

Wir haben im Gegensatz zu staatlichen Akteur*innen begrenzte Ressourcen. Als Monitoring-Flugzeug ist es unser primäres Ziel, den Staaten auf die Finger zu schauen.

Entdecken wir ein Boot in Seenot, alarmieren wir die zentralen Seenotrettungsleitstellen. Leider passiert danach viel zu oft überhaupt nichts. Die Staaten ignorieren die Hilferufe einfach und zivile Akteur*innen müssen zur Rettung der Boote eilen. Die maltesische Seenotrettungsleitstellen hat uns sogar einmal explizit gesagt, dass sie nicht mit NGOs reden. Meistens legen sie einfach kommentarlos auf, wenn wir sie anrufen, um sie über einen Seenotfall zu informieren.

Ein Schiff der sog. Libyschen Küstenwache und ihr Beiboot verfolgen ein Boot in Seenot. Um das Boot zum Anhalten zu zwingen, schoss die Küstenwache auch in Richtung des Bootes. Die etwa 80 Menschen wurden illegal nach Libyen zurückgebracht. Foto: Christian Gohdes / Sea-Watch

Die tunesischen und libyschen Akteure sind unserer Rechtsauffassung nach keine legitimen Akteure, weil sie illegale Pullbacks durchführen – und dabei häufig auch direkt Menschen in Gefahr bringen. Leider beobachten wir sehr oft, wie sie Menschen illegal nach Libyen oder Tunesien verschleppen oder schlimmstenfalls auch, wie bei ihren gefährlichen Manövern Menschen ertrinken.

Du hast vorhin gesagt, dass ihr eure Beweise für Menschenrechtsverletzungen auch vor Gericht verwendet. Hast du ein Beispiel?

Wir dokumentieren und archivieren jedes Vergehen gegen internationales Recht. Erst vor wenigen Monaten haben wir beispielsweise ein Boot in Seenot dokumentiert und auch die Behörden darüber informiert. Aber sie haben es einfach ignoriert – mehrere Tage lang. Schließlich ist das Boot gesunken. 21 Menschen sind gestorben. Durch unsere Dokumentationsarbeit konnten wir beweisen, dass das gesunkene Boot dasselbe Boot ist, das wir tagelang den Behörden gemeldet haben. Zusammen mit einigen Überlebenden haben wir auf der Basis dieser Beweise jetzt die italienischen Behörden wegen Totschlags durch Unterlassen verklagt.

Das Boot in Seenot im zentralen Mittelmeer, gesichtet aus der Luft vom Aufklärungsflugzeug Seabird 2. 21 Menschen starben, weil zwei Tage lang niemand auf den Notruf reagierte. Foto: Mika Grundwaldt / Sea-Watch

Seit kurzem können die italienischen Behörden eure Flugzeuge festsetzen und mit Strafen belegen. Was bedeutet das für eure Arbeit?

Das sogenannte Flussi-Dekret kriminalisiert unsere Arbeit. Das ist für mich immer noch nahezu unfassbar und zeigt den autoritären Wandel der europäischen und italienischen Politik. Wir schauen der italienischen Regierung auf die Finger und machen ihre blutigen Machenschaften der Öffentlichkeit zugänglich. Das gefällt der italienischen Regierung nicht. Deshalb möchte sie uns loswerden.

Das neue Gesetz versucht nun, uns zu zwingen, internationales Recht zu brechen. Denn bis heute sind die zivilen Seenotrettungsorganisationen die letzten Akteur*innen, die sich auf dem Mittelmeer noch daran halten. Wir sollen nun mit libyschen Milizen kooperieren und ihren Befehlen Folge leisten, etwa wenn wir sie bei Menschenrechtsverbrechen beobachten. Das werden wir nicht tun.

Ihr könnt aus der Luft nur beobachten, nicht direkt eingreifen. Wie geht ihr als Crew damit um?

Das ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Der Flug fühlt sich für mich manchmal an wie ein grausamer Stummfilm. Diese stellenweise abstrakt erscheinende Beobachtung von Gewalt an den europäischen Außengrenzen hinterlässt bei mir schon ein sehr machtloses Gefühl und stellenweise auch viel Wut.

Ein Schiff der sogenannten libyschen Küstenwache im zentralen Mittelmeer bringt etwa 20 Menschen an Bord illegal zurück nach Libyen. Das leere Boot wurde in Brand gesetzt. Foto: Juliette Corne / Sea-Watch

Wir haben psychologische Unterstützungsangebote, aber manchmal hilft es auch schon, mit der Flugcrew ein Eis zu essen und über das geteilte Erlebnis zu sprechen. Ich denke aber, zu sehr die eigenen Probleme zu fokussieren ist auch nicht hilfreich. Die enorme Resilienz von Menschen auf der Flucht, die wir jeden Tag sehen, ist dabei auch eine Motivation weiterzumachen.

Was motiviert dich, diese Arbeit trotz aller Herausforderungen zu machen? Gibt es auch etwas, das dir Hoffnung gibt?

Hoffnung geben mir die Menschen, die den Mut haben aller Widerstände zum Trotz das zentrale Mittelmeer zu überqueren und es auch regelmäßig schaffen. Dieser Wille ist eine Inspiration.

Meine eigene Motivation hat viel mit einem starken Ungerechtigkeitsgefühl zu tun. Wenn ich auswandern will oder Urlaub machen will in einem anderen Land, dann ist das überhaupt kein Problem. Für viele Menschen, die zudem von Krieg und Verfolgung betroffen sind, ist das ganz anders. Sie haben kaum Möglichkeit, sich frei zu bewegen und fliehen meistens innerhalb ihres Landes oder wenn möglich in ein Nachbarland. Diese extremen globalen Unterschiede in der (Un-)Möglichkeit sich frei zu bewegen, kotzen mich an und motivieren mich, sie zu bekämpfen und zu verändern.

Was können Menschen tun, um die Luftaufklärung und die zivile Seenotrettung zu unterstützen?
Auf die Straße gehen und demonstrieren für Bleibe- und Bewegungsfreiheit für alle, Bargeld bei Geflüchteten gegen Bezahlkarten tauschen, Leute über unsere Arbeit informieren, solidarisch bleiben, ein offenes Herz bewahren, nicht in die Angststarre verfallen und wenn die finanziellen Ressourcen da sind: Spenden.

Conto delle donazioni

United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank

Conto delle donazioni

United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank

Questo sito web utilizza i cookie

Questi includono i cookie essenziali che sono necessari per il funzionamento del sito, così come altri che vengono utilizzati solo per scopi statistici anonimi, per le impostazioni di comfort o per visualizzare contenuti personalizzati. Potete decidere voi stessi quali categorie volete permettere. Si prega di notare che in base alle vostre impostazioni, non tutte le funzioni del sito possono essere disponibili.

Questo sito web utilizza i cookie

Questi includono i cookie essenziali che sono necessari per il funzionamento del sito, così come altri che vengono utilizzati solo per scopi statistici anonimi, per le impostazioni di comfort o per visualizzare contenuti personalizzati. Potete decidere voi stessi quali categorie volete permettere. Si prega di notare che in base alle vostre impostazioni, non tutte le funzioni del sito possono essere disponibili.

Le tue preferenze sui cookie sono state salvate.