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24.07.2020
David Starke ist Geschäftsführer von SOS MEDITERRANEE. Seit fünf Jahren ist die europäische Seenotrettungsorganisation im zentralen Mittelmeer unterwegs. Dabei konnte SOS MEDITERRANEE bislang 31.799 Menschen aus Seenot retten.
Lieber David, gerade wurde auch noch die Ocean Viking in Italien festgesetzt – warum?
Wir haben nach einer elfstündigen Inspektion – einem sogenannten „Port State Control“ – in Sizilien am Mittwochabend erfahren, dass die Ocean Viking festgesetzt ist. Es ist nach der Alan Kurdi, der Aita Mari und der Sea-Watch 3 nun das vierte Schiff in drei Monaten, das wegen vorgeschobener Sicherheitsmängel aus dem Verkehr gezogen wurde. Man wirft uns vor, mehr Menschen, zu transportieren, als unsere Zulassung vorsieht. Aber es handelt sich ja um Gerettete aus Seenotfällen, nicht um „Passagiere“. Für uns ist dies zynische Schikane mit dem Ziel, unsere lebensrettenden Einsätze zu verhindern. Durch die Festsetzung der Ocean Viking ist aktuell kein ziviles Rettungsschiff mehr im zentralen Mittelmeer im Einsatz. Doch die Menschen fliehen weiter über das Mittelmeer, im Sommer sind es sogar mehr als sonst. Wir sind über die unbegründete Festsetzung sehr wütend.
Anfang Juli waren die Medien voller Berichte über euren Rettungseinsatz. Was war passiert?
Unsere Crew musste den Notstand an Bord ausrufen, das haben wir noch nie erlebt. Wir hatten 180 Gerettete aus 13 Nationen an Bord. Nach Tagen des Wartens, nach insgesamt sieben erfolglosen Anfragen an italienische und maltesische Behörden, die Menschen an Land gehen zu lassen, stieg die Anspannung extrem. Die Geretteten verloren zunehmend die Hoffnung, die Ungewissheit schlug in Verzweiflung um. Nach sechs Suizidversuchen, Auseinandersetzungen und Androhungen von Gewalt entschloss sich der Kapitän, den Notstand auszurufen. Wir waren geschockt, dass es noch drei weitere Tage gedauert hat, bis die Menschen in Sizilien von Bord gehen konnten.
Wie ist es der Crew ergangen – und wie geht es ihr jetzt?
Kurz nach dem Rettungseinsatz konnte ich mit einem Kollegen an Bord sprechen. Er beschrieb die Situation als unglückliches Zusammenspiel von vielen Faktoren, als “perfect storm”. Da waren die strengen COVID-19 Schutzmaßnahmen, also eine erschwerte Kommunikation mit den Geretteten hinter Masken und Visieren; eine Gruppe besonders traumatisierter Menschen und natürlich die lange Wartezeit und Ungewissheit. Der Kollege beschrieb, wie sehr ihn die fehlende Menschlichkeit betroffen gemacht hat, die hinter der politischen Entscheidung steht, so lange keinen Hafen zuzuweisen. Männer, Frauen und Kinder schlafen nur in eine Decke gewickelt auf den Holzplanken der Ocean Viking. Auf meine Frage, wie er mit den Herausforderungen des Notstands umgegangen sei, antwortete er, dass man sich an Bord sehr bewusst zurückziehen müsse. Es sei wichtig, sich auch um sich selbst zu sorgen, ausreichend zu schlafen, damit man die Situation meistern könne.
Ihr habt einen Bericht veröffentlicht und kürzlich eine Petition gestartet. Was fordert ihr von der Politik?
Unser Report „Menschenrecht über Bord – wie die EU die Verantwortung für Seenotrettung im zentralen Mittelmeer auslagert“ beschreibt den Skandal, dass Europa mit über 90 Millionen Euro die libysche Küstenwache befähigt hat, flüchtende Menschen abzufangen und widerrechtlich in libysche Internierungslager zurück zu bringen. Wir dokumentieren erstmals die Dysfunktionalität dieser sogenannten Küstenwache mit Daten von Bord. Denn diese Leitstelle ist fast nie erreichbar, während Menschen in Seenot sind. Von der europäischen Politik fordern wir, endlich zu ihrer Verantwortung für die Seenotrettung im zentralen Mittelmeer zu stehen. In unserer aktuellen Petition fordern wir Außenminister Heiko Maas dazu auf, sich für ein europäisches Seenotrettungsprogramm einzusetzen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ist hierfür eine einmalige Chance. Es geht um Menschenleben – und um unsere humanitären Werte. Deshalb hoffen wir, dass sehr viele Unterschriften zusammenkommen!
Das hoffen wir auch! Vielen Dank David, für das Gespräch und euren Einsatz!
Impressionen des Einsatzes der Ocean Viking:
United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank
United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
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