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21.12.2020

Regisseur Milo Rau im Interview

Milo Rau, Sie haben in der süditalienischen Stadt Matera das Leben Jesu verfilmt, wie vor Ihnen Pier Paolo Pasolini und Mel Gibson. Wie kam es dazu?

Ich habe Ende 2017 eine Anfrage aus Matera bekommen. Anlässlich ihrer Ernennung zur „Kulturhauptstadt Europas 2019“ haben sie gefragt, ob ich ein Projekt machen möchte. Mir war sofort klar: Ja, das mache ich. Und zwar einen Jesus-Film.

Nun ist es ein sehr besonderer Jesus-Film geworden: War die sozialkritische Komponente von Anfang an Teil des Plans?

Nein, aber diese Idee nahm sofort Gestalt an, als ich Anfang 2018 nach Matera gefahren bin und die Flüchtlingslager um die Stadt besucht habe. Da wurde mir das Ausmaß der enormen sozialen Ungerechtigkeit vor Ort bewusst. Allein in Italien leben mehr als 500.000 Flüchtlinge im Untergrund. Menschen, die Tag für Tag am Straßenrand stehen und auf Arbeit warten. Egal, wie schlecht bezahlt, egal, wie tödlich. Wer sich beklagt, kommt auf eine Liste. Es ist eine brutale Mafiastruktur auf der die ganze europäische Billig-Landwirtschaft beruht.

Sie haben viele Szenen in den Flüchtlingslagern in Süditalien gedreht. Wie würden Sie die dortige Situation beschreiben?

Als ich das erste Mal für mehrere Tage in einem der Lager war, war ich danach fix und fertig. Ich konnte nicht verstehen, wie die Menschen dort überleben. Sie hausen in wirklich menschenunwürdigen Verhältnissen, ausgebeutet von der Mafia, ganz nah und doch unsichtbar für die Touristen in der Kulturhauptstadt. Eine inakzeptale Situation. Wenn Jesus heute hier wäre, würde er sagen: "Das muss sich sofort ändern! Kein Mensch sollte so leben."

Für die Darstellung der Jünger Jesu haben Sie in den Lagern Protagonisten "gecastet" und dort auch diverse Szenen gedreht.

Ein Flüchtlingslager ist nicht der einfachste Ort, um einen Film zu drehen. Es hat letztlich fast ein Jahr gedauert, bis wir zum ersten Mal wirklich mit der Kamera aktiv waren. Vorher ging es vor allem darum, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Das brachte uns auch auf die Idee mit der „Revolte der Würde“: Wir wollten eine Bewegung kreieren, die die Menschen wirklich zusammenbringt, weit über den Film hinaus. Für die Revolte haben wir an die 30 verschiedene NGOs und Netzwerke zusammengeschlossen: Sexarbeiter, die afrikanischen und italienischen Landarbeiter, das erste unabhängig geführte Flüchtlingslager, Biolandbauern und so weiter. Gruppen, die eigentlich von der Mafia gegeneinander ausgespielt werden.

Ihr habt sicherlich auch diverse Fluchtgeschichten gehört.

Ja. Und obwohl ich mich seit vielen Jahren mit den Widersprüchen der Weltwirtschaft und der Rolle Europas darin beschäftige, berühren mich diese Geschichten immer aufs Neue und machen mich wütend.

In einer Rezension wurde „Das Neue Evangelium” als Hybrid aus Dokumentar- und Spielfilm, politischer Aktionskunst und zornig emotionalem Aufschrei bezeichnet. Beschreibt das Ihre Intention treffend?

Ja. Aber natürlich ist es uns besonders wichtig, dass der Aufschrei, dass die Kunst auch in Aktion, bleibende Praxis mündet. Deshalb freut es mich am meisten, dass unser Film sich auf die Realität auswirkt: Rund um Matera wurden, wie Sie am Ende des Films sehen können, infolge der ‚Revolte der Würde’ die ersten ‚Häuser der Würde‘ gegründet: Häuser, in denen die zuvor obdachlosen Statisten des Films nun in Würde und Selbstbestimmtheit leben können. Die fair angebauten und getradeten Tomaten unseres Jesus’ haben es bis in deutsche Supermärkte geschafft. Ich hoffe, dass dieser Film wirklich eine neue zukunftsweisende Verbindung von Kunst und politischer Aktion aufzeigt.

Vielen Dank für dieses Interessante Gespräch, Herr Rau.

Um einen Beitrag für die Kultur- und Filmlandschaft zu leisten, hat der Filmverleih Port au Prince Pictures beschlossen, den Film in Deutschland und Österreich auch im Lockdown zu starten: als digitale Kinoauswertung, eine revolutionäre neue Verleihstrategie, durch die die Kinos konkret und unmittelbar an den Streaming-Umsätzen beteiligt werden.

Ihr könnt Euch Milo Raus Film 'Das neue Evangelium' hier anschauen.

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IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
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