21.11.2023
Das Bundesinnenministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, nach dem Seenotrettung auf dem Mittelmeer und andere Hilfe für Menschen auf der Flucht mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden könnte. Eine kurze juristische Einschätzung dazu finden Sie hier. In einem gemeinsamen Aufruf fordern 52 Nichtregierungsorganisationen, Seenotrettung und humanitäre Hilfe nicht zu kriminalisieren und den Gesetzentwurf zur möglichen Strafbarkeit von Nothilfe für Flüchtende zurückzunehmen.
Gemeinsame Stellungnahme: Kriminalisierung von Seenotretter:innen verhindern!
Wir sind alarmiert über die geplanten Änderungen des Aufenthaltsgesetzes, die das Bundesministeriums des Innern und für Heimat dem Bundeskabinett vorgelegt hat.
Die Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) bietet die rechtliche Grundlage, humanitäre Arbeit weiter einzuschränken und humanitäre Helferinnen und Helfer strafrechtlich zu verfolgen.
Diese Kriminalisierung widerspricht der im Koalitionsvertrag hervorgehobenen Pflicht zur Seenotrettung und Verantwortung, diese nicht zu behindern.
Die Einschleusung in einen anderen Schengen-Staat (§ 96 Abs. 4 AufenthG) bezieht sich bisher nicht auf die uneigennützige Einschleusung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b AufenthG. Nach dem neuen Entwurf soll jedoch auch die Beihilfe zur unerlaubten Einreise unter Strafe gestellt werden, wenn sie "wiederholt oder zugunsten mehrerer Ausländer“ erfolgt. Auf einen Vorteil für die Hilfeleistenden kommt es dann nicht mehr an.
Davon betroffen sind potenziell Seenotretter*innen, aber auch andere Menschenrechts-verteidiger*innen, humanitäre Organisationen und Geflüchtete selbst.
Mit den geplanten Gesetzesänderungen würde sich Deutschland in eine europaweit zu beobachtende repressive Politik einreihen. Die Einschränkung zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume ist ein gefährlicher Trend, der gestoppt werden muss. Wir nehmen die Klarstellung des Bundesinnenministeriums, dass eine Kriminalisierung der Seenotrettung nicht beabsichtigt sei, dankbar zur Kenntnis. Die juristische Einschätzung zeigt jedoch, dass die für eine strafrechtliche Verfolgung ausschlaggebenden Straftatbestände in konkreten Fällen nach dem aktuellen Vorschlag erfüllt sein könnten.
Deshalb fordern wir das Bundesinnenministerium auf, dem Bundeskabinett eine geänderte Formulierungshilfe vorzulegen, in der die Ausweitung des Paragraphen 96 zurückgenommen wird. Darüber hinaus fordern wir die Aufnahme einer humanitären Klausel, wie sie in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/90/EG vorgesehen ist, um Sanktionen gegen humanitäre Hilfe auszuschließen.
Sollte das Innenministerium dem Bundeskabinett keine neue Formulierungshilfe vorschlagen, fordern wir die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, diese Änderungen in einem Antrag aufzugreifen und in den Bundestag einzubringen.
Wir schließen uns der im Rahmen der Verbandsanhörung geäußerten Kritik am be-schleunigten Gesetzgebungsverfahren an und appellieren an alle am Gesetzgebungsprozess beteiligten Akteure, die Expertise der Zivilgesellschaft anzuhören und bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.
Seenotrettung und humanitäre Hilfe dürfen in und von Deutschland nicht kriminalisiert und behindert werden!
Unterzeichnende Organisationen:
ADRA Deutschland e.V.
Amnesty International Deutschland e.V.
Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V.
Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im DAV
Ärzte ohne Grenzen e.V.
AWO Bundesverband
AWO International e.V.
Brot für die Welt, Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.
borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – BAfF e.V.
Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e.V.
ECCHR – European Center for Constitutional and Human Rights
FATRA Frankfurter Arbeitskreis Trauma und Exil e. V.
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V.
Flüchtlingsrat Brandenburg
Flüchtlingsrat Bremen e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Flüchtlingsrat NRW e.V.
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
FORUM MENSCHENRECHTE
GGUA Flüchtlingshilfe e.V.
Grenzenlos – People in Motion e.V. (CompassCollective)
Handicap International e.V.
International Rescue Committee IRC Deutschland gGmbH
Islamic Relief Deutschland e.V.
iuventa-crew
Kindernothilfe e.V.
MARE*GO
medico international
MEDITERRANEA Saving Humans (Italy)
MISEREOR
MISSION LIFELINE International e.V.
MV Louise Michel
Neue Richtervereinigung – Zusammenschluss von Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten e.V.
Netzwerk Afrique-Europe-Interact
Der Paritätische Gesamtverband
PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.
RAV (Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.)
RESQSHIP e.V.
r42-SailAndRescue
SARAH gUG - Search And Rescue for All Humans
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.
Sea-Eye e.V.
Sea Punks e.V
Sea-Watch e.V.
Seebrücke
SOS Humanity e.V.
SOS-Kinderdörfer weltweit – Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V.
SOS Mediterranee
TERRA TECH Förderprojekte e.V.
terre des hommes
United4Rescue - Gemeinsam Retten e.V.
Women’s International League for Peace and Freedom Germany
United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank
United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
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