17.05.2024
Sprechen, sich anrühren lassen, zur Herzensangelegenheit machen!
Anja und Michael Stukenbrock sind fast seit Gründung von United4Rescue Fördermitglieder. Sie engagieren sich im Rahmen der Bündnispartnerschaft der Kirchengemeinde St. Paulus in Buxtehude für die Seenotrettung und haben schon viele Aktionen auf die Beine gestellt. Außerdem haben sie „halb Buxtehude“ als Bündnispartner geworben, sogar die Stadt Buxtehude selbst! Wie haben sie das geschafft, was treibt sie an, und welche Tipps haben sie für andere? Wir haben sie gefragt.
Liebe Anja, lieber Michael, ihr seid nun bereits sehr lange aktiv für United4Rescue und die zivile Seenotrettung. Wie seid ihr zu eurem Engagement gekommen?
Till Rummenhohl, der heutige Geschäftsführer von SOS Humanity, war es, der im Jahr 2017 mit seinem mitreißenden Vortrag an der VHS Buxtehude den Grundstein für unseren Einsatz für die Seenotrettung gelegt hat. Und das Thema lässt uns seitdem nicht mehr los.
Als nach dem Kirchentag 2019 in Dortmund das Bündnis United4Rescue ins Leben gerufen und die Sea-Watch 4 als erstes Bündnisschiff ins Mittelmeer geschickt wurde, entschieden wir uns, Fördermitglieder zu werden. Im Gemeindebrief unserer Kirchengemeinde St. Paulus in Buxtehude berichteten wir über das Engagement der Buxtehuder Brücken-Apotheke für Seenotrettung und stellten kurze Zeit später den Antrag an den Kirchenvorstand, als Gemeinde ebenfalls Bündnispartner von United4Rescue zu werden. Die Entscheidung fiel einstimmig, und die vorbehaltslose Unterstützung hält bis heute an. Es ist ein richtig gutes Gefühl, alle beim Eintreten für Humanität und Menschenwürde an unserer Seite zu wissen!
Was sind Aktionen, die ihr angestoßen habt?
Wir wollen mehr tun als Flyer auszulegen. Deshalb waren wir sowohl auf dem Gemeindefest als auch – zusammen mit der regionalen „Bürgerinitiative Menschenwürde“ – in der Buxtehuder Altstadt schon mit Infoständen vertreten. Im gemeindlichen Kontext gestalten wir gemeinsam mit anderen Engagierten regelmäßig Themengottesdienste und Andachten. Meistens ist unser Pastor Stephan Jannasch mit von der Partie; seine nachdrückliche Predigt beim Themengottesdienst im Oktober 2023 wurde auch über die Grenzen Buxtehudes hinaus beachtet.
Im Sommer 2023 zeigten wir elf Wochen lang in St. Paulus unsere Ausstellung „Grenzenlose Menschlichkeit“ mit Bildtafeln der Albert-Schweitzer-Stiftung sowie eine Zusammenstellung von 37 Fotos. Bei der Sammlung der Fotos haben wir enorme Unterstützung durch United4Rescue, Sea-Eye und Sea-Watch erhalten sowie durch großartige Fotograf:innen. Deren Hilfsbereitschaft und die netten Kontakte haben uns sehr bewegt – und die Aussagekraft der Fotos erst recht! In besonderer Erinnerung bleibt uns auch der Themenabend im September 2023 mit Gorden Isler, dem Vorsitzenden von Sea-Eye e.V, und Annika Schlingheider von United4Rescue. Einleitend haben wir den Kurzfilm SEABIRD gezeigt.
Über zivile Seenotrettung und die Situation auf dem Mittelmeer zu informieren, ist sehr wichtig. Wenn daraus Spendeneinnahmen und Fördermitgliedschaften resultieren, umso besser! Spender:innen können sich seit neuestem auch an unseren Aktionen „Brote für Boote“ und „Kerzen von Herzen“ erfreuen: Wir bedanken uns dabei mit selbstgebackenem Brot oder selbstgestalteten Kerzen für großzügige Spenden. Unser Pastoren-Ehepaar Jannasch konnte anschließend „das teuerste Brot ihres Lebens“ essen!
Durch einen Instagram-Beitrag von SOS Humanity sind wir außerdem auf die Idee gekommen, Schwimmkerzen in Schiffchenform herzustellen. Die Rohlinge lieferte uns die Lebenshilfe Stuttgart und für die Logos gab es zum Glück Expertinnen im Bastelteam unserer Gemeinde.
Ein besonderes Anliegen ist uns, weitere Bündnispartner für United4Rescue zu gewinnen. Es wäre doch gelacht, wenn die 1.000 nicht bald erreicht werden kann! Dafür machen wir in verschiedene Richtungen aktiv Werbung. An einigen weiteren potenziellen Bündnispartnern sind wir noch dran.
Wie habt ihr es geschafft, so viele weitere Bündnispartner zu gewinnen?
Teilweise mit einer ordentlichen Portion „Wadenbeißermentalität“. Spaß beiseite, das war wirklich sehr unterschiedlich. Es gab Bündnispartner, bei denen wir offene Türen einliefen, so zum Beispiel bei unserer eigenen Kirchengemeinde St. Paulus in Buxtehude, der Bürgerinitiative Menschenwürde oder bei der Band MAYBEBOP. Manche trugen den Gedanken bereits mit sich herum und wurden durch Anfragen von uns nur noch erinnert. Andere wiederum brauchten länger für ihre Entscheidung, und die Wege waren streckenweise etwas holprig. Bei der Durchsetzung der Bündnispartnerschaft der Hansestadt Buxtehude haben wir viel über Kommunalpolitik gelernt.
Sehr enttäuscht sind wir vom Deutschen Evangelischen Kirchentag, der bis heute nicht selbst Bündnispartner geworden ist, auch wenn eine Resolution beim Kirchentag 2023 dies gefordert hat. Hier bleiben wir weiter dran!
Was treibt euch an und motiviert euch?
Spontan fallen uns dazu vor allem drei Antworten ein: Der Film „Route 4“, das Buch „See.Not.Rettung.“ von Tobi Schlegl und unsere beiden Besuche auf der Sea-Watch 5. Im Grunde sind es aber die unzähligen Nachrichten über die besorgniserregenden Ereignisse an den europäischen Außengrenzen und insbesondere im Mittelmeer, die uns immer wieder die Notwendigkeit unserer Arbeit in Kirche und Gesellschaft deutlich vor Augen führen. Aufgeben ist daher keine Option. Unsere Motivation ist die tiefe und unerschütterliche Überzeugung: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“
Erst seit März 2023 sind wir auf Instagram aktiv (@buxtehude_for_united4rescue). Wir haben dort überraschenderweise schnell viele wertvolle und sehr nette Kontakte geknüpft: mit diversen engagierten Politiker:innen, mehreren NGOs und anderen Bündnispartnern von United4Rescue. Vielen dieser tollen Menschen sind wir inzwischen auch persönlich begegnet.
Was macht euch derzeit Mut? Und was bereitet euch Sorge?
Große Sorgen bereitet uns, dass sich viele Menschen der Überzeugung, dass man keine Menschen ertrinken lässt, eben nicht mehr vorbehaltlos anschließen und ihre Haltung immer häufiger sogar offen artikulieren. Die abschreckende Wirkung, die Todesfälle im Mittelmeer vermeintlich auf Fluchtbewegungen haben, zu betonen, empfinden wir als zynisch und widerwärtig. Was wir teilweise aus den Reihen von Politiker:innen und selbst in unserem christlichen Umfeld hören müssen, ist nur schwer auszuhalten.
Große Sorgen bereiten uns auch der Rechtsruck in unserer Gesellschaft und die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland und Europa; außerdem die Abschottungspolitik Europas, das Aufweichen des Grundrechts auf Asyl und die Versuche Italiens, Seenotrettungsschiffe durch die Zuweisung möglichst weit entfernter Häfen aus dem Such-und-Rettungsgebiet fernzuhalten.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist das Aufstehen der schweigenden Zivilgesellschaft, das wir seit einigen Monaten sehen. Es gab zuletzt in Italien und Griechenland außerdem erste gerichtliche Entscheidungen gegen die Kriminalisierung von Seenotrettung und die Festsetzung von Seenotrettungsschiffen. Und als Christ:innen sind wir sehr dankbar für die ermutigend klare Haltung unserer Pastorin und unserer Pastoren in St. Paulus, der christlichen Kirchengemeinden in unserer Stadt sowie des Kirchenkreises Buxtehude, der Landeskirche Hannovers und der EKD!
Welche Tipps könnt ihr Menschen geben, die auch für die zivile Seenotrettung aktiv werden wollen?
Unser erster Gedanke dazu ist: Informieren, und zwar sich selbst und andere! Auf den Webseiten und in den Jahresberichten der NGOs und in deren Social-Media-Accounts findet man Antworten auf viele Fragen. Auch Dokumentarfilme in Mediatheken oder auf YouTube haben uns wertvolle Eindrücke und Anstöße beschert. Nicht zu vergessen ist die Möglichkeit, Kontakt mit der Geschäftsstelle von United4Rescue aufzunehmen, die vielfältiges Material zur Verfügung stellt und sehr gern in Austausch tritt.
Hilfreich erscheint es uns auch, Gleichgesinnte zu suchen. In vielen Städten gibt es zum Beispiel Ortsgruppen von Sea-Eye oder Seebrücke. Das ist natürlich auch im Rahmen von virtuellen Netzwerken möglich. Wir würden uns zum Beispiel freuen, wenn es mehr Austausch zwischen Fördermitgliedern oder zwischen Bündnispartnern von United4Rescue gäbe – um sich auszutauschen und gemeinsame Ideen zu entwickeln.
Zusammengefasst: Sprechen, sich anrühren lassen, zur Herzensangelegenheit machen!
Danke, Anja und Michael, für das Interview und euer großartiges Engagement!