05.04.2024
Ein Segelschiff für die Seenotrettung
Ein Segelschiff für die Seenotrettung? Aber sicher! Der Hamburger Verein RESQSHIP fährt seit mehreren Jahren mit der NADIR Such- und Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer. Das kleine Schiff hat sogar große Vorteile, sagt Linda Rochlitzer von RESQSHIP. Wir haben mit ihr für unser Logbuch gesprochen.
Im Winter 2023/24 war das Schiff für mehrere Monate in der Werft. United4Rescue hat die Werftarbeiten mit 80.000 Euro unterstützt und damit geholfen, die NADIR fit und sicher für die kommenden Rettungseinsätze zu machen!
Euer Segelschiff NADIR liegt gerade in der Werft. Was ist hier alles passiert?
Die NADIR liegt gerade in der Winterwerft auf Malta. Zwischen Dezember und März haben wir eine Einsatzpause gemacht, um Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten durchzuführen.
Die vielen Einsatzstunden, die wir 2023 leisten konnten, bedeuten auch große Strapazen für das Boot. Deswegen wird die Winterwerft gebraucht, um zum Beispiel Rost zu entfernen und den Rumpf neu zu lackieren. Außerdem haben wir hier die Zeit, die Schiffsausstattung neu zu sortieren und bei Bedarf zu verbessern. Gerade unser medizinisches Inventar und die Rettungshilfen müssen immer aktualisiert und geprüft werden.
Für unseren Motor war außerdem eine Generalüberholung fällig. Unser Motor war eigentlich noch nicht am Ende seiner möglichen Nutzungszeit. Aber er ist auch über 30 Jahre alt, und wir mussten feststellen, dass wesentliche Ersatzteile nicht mehr in Originalqualität verfügbar sind. Deshalb mussten wir einen komplett neuen Motor besorgen und einbauen. Wir geben alles, damit die NADIR ab Mitte April wieder zuverlässig auf dem Mittelmeer eingesetzt werden kann!
Was hat die Förderung durch United4Rescue euch ermöglicht?
Die Förderung von United4Rescue hat einen Großteil der anfallenden Kosten für Material und die Arbeit im Trockendock in Malta abgedeckt. So konnten wir alle notwendigen Instandsetzungsarbeiten an der NADIR – beispielsweise Schweißarbeiten an Rumpf und Deck, Farbanstriche oder die Verlegung von Elektrik – durchführen.
Neben unserem Schiffstechniker haben vor allem handwerklich ausgebildete Freiwillige in der Werft gearbeitet, aber für deren Verpflegung und Unterbringung sind natürlich auch Kosten entstanden. Insgesamt trägt die Förderung dazu bei, unsere aktive Nothilfe im zentralen Mittelmeer fortzuführen: In der Winterwerft wird die NADIR fit und sicher für unsere Crews gemacht, damit wir auch 2024 unsere Einsätze fahren und Menschen in Seenot unterstützen können.
Die NADIR ist ein Segelschiff, also vergleichsweise klein. Wie könnt ihr damit Menschen in Seenot helfen?
Wir können mit der NADIR agile Sucheinsätze fahren, um Menschen in Seenot zu finden und ihnen beizustehen. An Bord der NADIR haben wir Rettungsmaterialien für ca. 100 bis 200 Menschen, sogar ein kleines Krankenhaus. Unsere Krankenhausausstattung kann man sich laut Hannah, einer unserer Ärztinnen, wie eine Mischung aus einer allgemeinen Hausarztpraxis und einem Rettungswagen vorstellen.
Wir übernehmen die Erstversorgung der Geflüchteten in Seenot, verteilen Rettungswesten, Wasser und versorgen medizinische Notfälle. Die Idee ist, Geflüchtete in ihren eigenen Booten zu begleiten, bis wir sie an die italienische Küstenwache übergeben. Nur im Notfall nehmen wir Geflüchtete selbst an Bord. Im letzten Jahr konnten wir 5.200 Menschen vor dem Ertrinken bewahren und ihren Fluchtweg sicherer machen.
Was ist bei euch anders als bei den großen Rettungsschiffen?
Bislang wurden wir weniger durch politische Repressionen behindert, als die größeren Rettungsschiffe. Bis jetzt hatten wir immer das Glück, nach Lampedusa einlaufen zu dürfen und nicht hunderte Seemeilen zu einem weit entfernten Hafen zurücklegen zu müssen. Das hat im letzten Jahr dafür gesorgt, dass wir eine extrem hohe Präsenz im zentralen Mittelmeer hatten. Das hat für viele Menschen auf der Flucht einen Unterschied gemacht.
Außerdem haben wir ein flexibles und kostensparendes Einsatzkonzept: Unsere kleinen, siebenköpfigen Crews bestehen ausschließlich aus Ehrenamtlichen und das Segelschiff spart Treibstoffkosten. Gleichzeitig sind die Rollen unserer Crewmitglieder umso komplexer – alle müssen viele verschiedene Aufgaben übernehmen und als kleine Gruppe auf engem Raum sehr gut funktionieren.
Und es ist eine vergleichsweise große Herausforderung für uns, wenn wir eine große Anzahl von Menschen auf einmal unterstützen – vor allem, wenn wir sie im Notfall an Bord nehmen müssen. Wir erreichen unser Limit eher als große Rettungsschiffe. Nicht zuletzt durch die gute Zusammenarbeit mit der italienischen Küstenwache und anderen NGOs auf dem Wasser schaffen wir es aber auch in diesen kritischen Situationen, den Menschen zu helfen und zur Rettung aus Seenot beizutragen.
Seid ihr gar nicht von den Behinderungen durch die italienischen Behörden betroffen?
Indirekt. Natürlich trifft das neue Gesetz auch auf uns zu, das besagt, dass nach jeder Rettung erst der zugewiesene ''Port of Safety'' angefahren werden muss. Das bedeutet, dass mehrere Rettungen untersagt werden, auch wenn wir dazu in der Lage wären. Dadurch, dass wir aber bis jetzt immer Lampedusa als sicheren Hafen zugewiesen bekommen haben und unsere Kapazitäten sowieso schneller ausgeschöpft sind, ist das weniger hinderlich für uns.
Jedoch plant das deutsche Verkehrsministerium für kleinere Schiffe wie die NADIR eine Gesetzesänderung der Schiffssicherheitsverordnung, diese könnte nach jetzigem Stand unsere Arbeit stark einschränken oder sogar komplett verhindern.
Wann und wie geht es nach der Werft weiter?
Für dieses Jahr haben wir zehn Einsätze geplant, von Mitte April bis Ende November. Wir möchten genauso präsent im Einsatzgebiet sein wie 2023. Unser Einsatzkonzept haben wir aber etwas modifiziert: Auch mit Blick auf die NADIR und die Ressourcen unserer Crews planen wir dieses Jahr vereinzelte Pausen zwischen den jeweils dreiwöchigen Einsätzen. Ziel ist es nach wie vor, so viele Menschen in Seenot wie möglich zu unterstützen und ihre Situation auf der Fluchtroute Mittelmeer zu verbessern.
Natürlich informieren wir auch die Öffentlichkeit über die Geschehnisse auf dem Mittelmeer und decken illegale Aktivitäten, die wir beobachten, auf. Nach jedem Einsatz veröffentlichen wir auch einen ausführlichen Einsatzbericht. Um auf dem Laufenden zu bleiben, kann man unseren Newsletter abonnieren, uns auf Social Media folgen oder sich auf unserer Website informieren.
Dort, wo die EU wegschaut, wollen wir nicht wegschauen. Wir fordern politisch nachhaltige Lösungen wie legale Fluchtwege und bis wir das erreicht haben, sind wir motiviert, weiter selbst zu sicheren Fluchtwegen für Menschen auf dem Weg nach Europa beizutragen!