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30.11.2022
Im letzten Winter machte die Lage an der Grenze zwischen Polen und Belarus Schlagzeilen. Das belarussische Regime instrumentalisierte Tausende Schutzsuchende und schickte sie Richtung Europäische Union. Polen, aber auch Litauen und Lettland, setzten auf Abschottung. Die Folge: eine humanitäre Katastrophe. Menschen schliefen bei Minusgraden im Wald, darunter Familien mit kleinen Kindern. Es gab Tote. Wie ist die Lage jetzt? Ansgar Gilster, Vorstandsmitglied von United4Rescue, war im Oktober 2022 vor Ort an der östlichen EU-Außengrenze unterwegs und traf den polnischen Grenzschutz, Hilfsorganisationen und Menschenrechtsverteidiger:innen.
Zwar versuchen mittlerweile viel weniger Menschen, über Belarus in die EU zu gelangen, ansonsten ist die Lage jedoch unverändert. Das Lukaschenko-Regime – und mutmaßlich auch Putin – verspricht Menschen aus Afghanistan, Syrien, Irak und anderen Konfliktgebieten einen Weg in die EU und nutzt sie als politisches Druckmittel aus. Doch die östliche EU-Außengrenze ist seit letztem Jahr militärisch abgeriegelt, mit Stacheldraht und einem fast sechs Meter hohen, elektronisch überwachten Zaun.
Wer es über den Zaun schafft, wird vom polnischen Grenzschutz in aller Regel direkt zurück nach Belarus gebracht. Solche sogenannten „Push-Backs“ sind illegal, dazu oft enorm brutal. Daher verstecken sich die Menschen und versuchen, sich weiter Richtung Westen durchzuschlagen. Doch bereits nach wenigen Tagen in den Wäldern und Sümpfen, ohne Trinkwasser und Nahrungsmittel, ist jeder Mensch unterkühlt, geschwächt, am Ende seiner Kräfte. Dann geht es nur noch um das nackte Überleben. Mit der kalten Jahreszeit verschärft sich die Not jetzt, gerade erst wurde wieder ein Mensch tot aufgefunden, andere werden lebend gefunden, aber verlieren Gliedmaßen durch Erfrierungen.
Besonders beindruckend waren alle Begegnungen mit den unermüdlichen Aktivist*innen der polnischen Zivilgesellschaft. Seit über einem Jahr betreiben sie rund um die Uhr eine Notrufnummer für Schutzsuchende. Und sie durchstreifen die Wälder entlang der Grenze, um Menschen in Not zu finden und mit Nahrungsmitteln, Wasser, Medikamenten, trockener, warmer Kleidung zu versorgen. Jede Woche antworten sie auf etwa 100 bis 150 Notrufe. Bei dieser Arbeit werden sie von den Behörden eingeschüchtert und am Helfen gehindert. Trotzdem geben die Helfer*innen nicht auf.
Ob auf dem Mittelmeer oder im Ärmelkanal, in Italien oder Griechenland, an der bosnisch-kroatischen Grenze oder der polnisch-belarussischen Grenze: Die rechtswidrigen Handlungsmuster an der gesamten EU-Außengrenze gleichen sich. Menschen sterben, kämpfen um ihr Überleben oder werden massenhaft in stacheldrahtbewehrten Haftlagern interniert. Staatliche Rechtsbrüche, behördliche Willkür, unterlassene Hilfeleistung und Straffreiheit für die Verantwortlichen sind an der Tagesordnung. Gleichzeitig werden Hilfsorganisationen behindert und auch Journalist*innen, damit es keine Zeugen der Geschehnisse gibt.
Von »Politikversagen« oder einer »Überforderung« kann längst keine Rede mehr sein. All das folgt demselben Kalkül der Abschreckung: Je größer die Not, desto weniger neue Flüchtlinge kommen. Doch diese Annahme ist nicht nur zynisch, sie ist auch falsch. Sie unterschätzt vollkommen, wie verzweifelt die Menschen sind, die nach Europa flüchten. Und sie übersieht, wie diese Politik die Menschenrechte und Rechtssicherheit für alle Menschen in Europa gefährdet.
Deswegen sind wir mit United4Rescue auch in Kontakt mit Organisationen, die an den EU-Landgrenzen Menschen helfen, die in Lebensgefahr sind – und ermöglichen Einsätze, bei denen beispielsweise Menschen vor dem Erfrieren bewahrt werden. Denn man lässt keine Menschen erfrieren. Punkt.
Hinschauen und sich informieren ist das Wichtigste – damit die Not nicht aus dem Blick gerät. Und dann mit anderen Menschen sprechen und aktiv werden. Schon eine kleine Spendensammlung für United4Rescue, ein Aushang im Hausflur, eine kreative Bastelaktion, ein Themenabend in der Kirchengemeinde oder im Nachbarschaftstreff – all das hilft, Humanität und Menschenwürde zu verteidigen. Und es hilft auch gegen das Gefühl von Ohnmacht, das man angesichts dieser Politik und der furchtbaren Berichte bekommen kann. Wir müssen nicht tatenlos zuschauen, wir alle können handeln und helfen.
Ein ausführliches Gespräch mit Ansgar Gilster zur Situation an der polnisch-belarussischen Grenze, Asylrecht und Humanität findet sich hier: https://zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2021/8-9/das-recht-wird-an-die-inhumane-praxis-angepasst/
United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank
United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V.
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